Bei meinem Dezemberaufenthalt 2021 lief ich wieder mal an Balthasar vorbei...ich muss gestehen, ich hatte ihn öfter gesehen, aber die große Shelterliebe hatten wir nie...bis zu dem Tag im Dezember, als ich an seinem Zwinger vorbeiging und meinen Augen nicht traute...
Balthasar hatte schon seit Ankunft im Shelter einen Tumor auf der Unterlippe. Er kommt aus dem Shelter Bals und wir gehen davon aus, dass er genau deswegen dort von seinem Besitzer entsorgt wurde, denn so wie er sehen keine typischen Strassenhunde aus. Er bekam deswegen Chemo und eigentlich ging ich davon aus, der Tumor hätte sich verkleinert und wäre bald weg. Was mir begegnete, war fernab jeglicher Vorstellung: Aus dem einstigen Kraftpaket war ein dünner, ausgemergelter Hund geworden, der keinen Glanz mehr in den Augen hatte und dem Tod näher als dem Leben war...Überall Blut, welches aus dem Tumor kam und fressen konnte er auch nicht richtig - jedesmal blutete der Tumor wieder los, sobald er das Trockenfutter oder die Gittertür berührte.
Für mich stand fest, der muss sofort hier raus, denn hier wird er sterben. Also habe ich nach meiner Rückreise seine Reise nach Deutschland organisiert, welche 3 Wochen später stattfand. Ob er eine Überlebenschance hat, wusste ich nicht. Aber ich halte schmerzfreies und friedliches Sterben auch für einen Luxus, der nicht jedem vorbehalten ist. Und hätte er nicht überlebt, so hätte er wenigstens im Warmen und in Ruhe und mit Liebe auf einem weichen Bettchen von dieser Welt gehen dürfen.
In Deutschland angekommen, war es schwer zu erkennen, was er wollte...er mochte kleine Spaziergänge aber war dennoch völlig desinteressiert an Interaktion oder menschlicher Zuneigung. Stubenrein war er von Anfang an. Autofahren ein Traum.
Der 1. Tierarzttermin verlief relativ "unspektakulär". Aussage Tierarzt: "Ich muss ihn in Narkose legen und gucken, was ich machen kann. Man sieht nicht, wie weit der Tumor im Kiefer drin ist und Amputation ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Es ist keinem geholfen, wenn der Unterkiefer weg ist und die die Zunge und Spucke unkontrolliert hängen bzw. laufen. Und das ist auch nicht toll für den Hund."
Meine Hoffnung war, ihn nicht mehr aus der Narkose zu holen, falls eine Tumorentfernung nicht möglich sei. So sei wenigstens das Sterben leichter für ihn. Auch ging es ihm immer noch nicht gut, im Gegenteil, er war sehr müde und desinteressiert. Ich fuhr daraufhin noch ein 2. mal zum Tierarzt und dort kam raus wieso er war, wie er war: Er hatte eine Blutanämie und sehr schlechte Blutwerte. Wir dachten immer, er stinkt so schlimm, weil er die Chemo hatte aber dann kam raus, dass der Tumor im Mund am Faulen war. Man kann sich das gar nicht vorstellen, solange man das nicht selbst gerochen hat....Mein Auto hat noch 24 Stunden nach unserem Tierarztbesuch gestunken ohne Ende obwohl ich alles mit Decken geschützt hatte...und der arme Kerl hatte den Gestank permanent um sich. Auch bei diesem Tierarztbesuch wurde mir die Frage gestellt, wieso man einem Hund so etwas antun müsse...(das war nicht der operierende Chirurg). Aber ich blieb bei meiner Überzeugung:
Nur weil es für ein Tier nicht der einfachste Weg ist, heißt das nicht, dass es nicht in der Lage ist, ihn zu gehen. Sie gab ihm Antibiotikum und Kortison und auf meine Frage, wieso ein so kaputter Körper noch diese heftigen Medikamente braucht, sagte sie, der Körper kämpft so sehr gegen Tumor etc, das wäre die einzige Chance und sie hatte Recht! Innerhalb weniger Tage pushte das Kortison Balthasar und durch das Antibiotikum verschwand der Geruch. Wir hatten einen ganz neuen Hund vor uns...kleine Galoppsprünge, Freude, Ausgelassenheit...das alles kam langsam zurück. Allerdings waren es auch nur noch ein paar Tage bis zum OP-Termin und die Stimmung unter uns Menschen war bedrückt, denn wir konnten sehen, wie das Leben in ihn zurückkehrte ohne zu wissen, ob wir ihn nach der OP wieder abholen werden.
Dann kam er; der Gang nach Canossa...der OP-Tag war da. Wie immer ging Balthasar eine tolle Toilettenrunde und machte sofort, sprang ins Auto, als wenn er seit Jahren nichts anderes tut und los ging es. Komisches Gefühl, ihn abzugeben und nicht zu wissen, ob ich ihn je wieder sehe....aber was soll ich sagen, das Happy End kennen ja die meisten bereits :) Ich holte nachmittags einen Hund ab, den ich nicht mehr wieder erkannte - der Tumor war weg, ebenso ein Stück des Unterkiefers aber von Entstellung keine Spur...ich war überwältigt!
Er hatte überlebt!!! Der Tumor war weg!!! Ich konnte es nicht glauben!!!! Soooo viele Leute warteten auf meine Rückinfo und ich habe selten eine Nachricht lieber versendet, als diese!! Der Chirurg ist ein wahrer Zauberer; nicht zum erste Mal hat er einem Extremfall das Leben gerettet! Ich hatte um Fotos während der OP gebeten und es ist wirklich krass, was da so lange in seinem Mund war...BALTHASAR LEBTE! Man hatte ihm den Unterkiefer bis hinter die Eckzähne amputiert und die Unterlippe wieder angenäht. Er hatte es geschafft!! Nur noch abheilen und dann endlich konnte das Leben losgehen! Und es sei an dieser Stelle gesagt, dass auch das Trichter tragen eine glatte Schulnote 1 erhält, so ein lieber Streber :)
Die Heilung verlief gut, Balthasar wurde schnell immer fröhlicher, anschmiegsamer und lustiger. Total verträglich mit jedem Hund, toll an der Leine und und Spaßvogel hoch 3 ....Ich habe ihn öfter zu mir nach Hause geholt und er war einfach toll...freundlich zu jedem Hund, konnte alleine bleiben, hat nicht markiert und nichts kaputt gemacht. Soooo viel Lebensfreunde und Freundlichkeit, manchmal dachte ich, der muss doch auch irgend ne negative Seite haben?! Aber nein, da war nix!
Einer der schönsten Momente war, als er endlich wie ein ganz normaler Hund Wasser aus dem Fluss trinken konnte.
Balthasar war nach der OP noch etwa 4 Wochen auf seiner Pflegestelle und hat dann ein wundervolles Zuhause im Schwarzwald gefunden. Besondere Hunde bekommen besondere Menschen...es passt einfach zu 100% und wir wissen, dass er dort den Himmel auf Erden hat!
Sein Mund muss noch die ersten 2 Jahre überprüft werden, um eventuelle zurückkommende Tumore direkt zu entfernen aber das ist eine Kleinigkeit im Gegensatz zu der Odyssee, die er hinter sich hat.
Lebe, liebe und lache Balthasar - soooo viele haben gezweifelt und Du hast es allen gezeigt!!!!
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Almut (Sonntag, 08 Oktober 2023 16:43)
Es tut gut zu lesen, daß es noch mehr Menschen gibt,die so ein Wechselbad der Gefühle erleben.
In einer Minute zweifeln und wieder hoffen, mutlos und enttäuscht sind, dann wieder völlig verzweifelt und dennoch nicht aufgeben.
Es kommt vor, daß man wie hier vom Erfolg verwöhnt wird, aber auch wenn es am Ende anders ausgeht, lohnt sich der Versuch...
Ihr seit die Besten
Macht weiter
Alles Gute für Tier und Mensch
Wünschen Almut mit Pflege-Hündin Pepita und Nelly
(Natürlich von Hope for Future!)